Das war genauso wie vor vier Jahren, als ich für ein Wochenende für ein Seminar in London war, nicht am Sonntagabend nach Hause geflogen bin, sondern erst am Montagnachmittag, um mal einen Morgen gemütlich auszuschlafen, im Hotel. Damals war meine Nacht um 3:30h zu Ende, auf Grund eines Feueralarms wurde das gesamte Hotel evakuiert, nach einer Stunde draussen in der Kälte stehen, Sommer in London, durften wir wieder auf unsere Zimmer, Fehlalarm.
Heute war unsere Nacht um 2:30h zu Ende
Ich wachte auf, da stand Urte bereits auf dem Vordeck, sie hatte einen dumpfen Schlag am Anker gehört und war sofort an Deck. Als ich Sekunden später dazu kam, sah ich schemenhaft im Stockdunkeln, wie vor uns ein anderer Segler Kreise fuhr, und die Schiffe um uns herum nicht mehr dort lagen wo sie die letzten 2 Tage gelegen hatten. Das Schiff (den Namen konnten wir gerade noch erkennen, die Crew rief uns noch ein paar Brocken zu, bevor sie einen neuen Ankerplatz suchte) vor uns hatte sich, wahrscheinlich mit seinem eigenen Anker, in unserer Ankerkette verfangen, unser Schiff ca. 60m nach vorne gezogen (bei knapp 25kn Wind gegenan) und unseren Anker rausgerissen. Wir trieben seitwärts, um 50m versetzt nach hinten. Erst einmal: mehr Licht und Maschine starten, dann sahen wir keine 10m hinter uns ein anderes Schiff, auf das wir trieben, genau in diesem Moment schien sich unser Anker wieder eingegraben zu haben und die Situation sich zu stabilisieren.
Sollen wir trotzdem den Anker aufholen und woanders ankern, um sicher zu sein, dass wir top Halt haben oder sollen wir unseren Anker hier noch einmal rückwärts einfahren, mit dem Risiko, dass wir nach hinten wegrutschen, es in der Dunkelheit zu spät merken und auf unseren Hintermann fahren oder eventuell bei dem Manöver seinen Anker rausreissen? Wie gesagt es ist stockfinster, in Böen 30kn Wind, eng und die Schiffe um uns herum schwer auszumachen. Wir entscheiden uns, etwas Kette einzuholen, um etwas Abstand zu unserem Hintermann zu bekommen, die Maschine an zu lassen, unseren Ankeralarm sehr eng einzustellen, beide im Cockpit zu bleiben. Das Risiko, uns im Stockfinsteren auf diesem engen Raum zu bewegen, ist uns zu gross. Bisher eine Stunde geschlafen, kurze Sylvesternacht.
Update 1:
Gegen 4:00h fängt unser Anker an zu rutschen, wir haben vielleicht 15m zu dem Schiff hinter uns, zum Glück merken wir es rechtzeitig, Urte fährt nach vorne und ich hole die Kette ein, bis zu dem Punkt, wo wir an etwas festhängen, wir treiben quer, wie viel Abstand haben wir zu den umliegenden Schiffen, warum bekomme ich unseren Anker nicht hoch? Mir fällt ein, dass die andere Yacht sich in unserer Kette verfangen hatte, mit einem ihrer Anker (sie hatten 2 Anker ausgebracht). Hoffentlich war es ihr Anker und ihre Kette, die sich mit unserer Kette verfangen hatte und nicht die Kette eines anderen Schiffes. Nach ein bisschen vorwärts, etwas rechts und links treiben, gelingt es mir, unseren Anker zu heben, bis auf den letzten Meter, verdrehter Ankerschekel, ein basketballgrosser Stein sitzt im Anker fest, den bekommen wir nicht ohne weiteres hoch. Immerhin, wir sind frei, jetzt müssen wir noch zwischen den Ankerliegern aus dem Ankerfeld finden, einige der Schiffe sind nicht beleuchtet und nur schwer auszumachen. Wir versuchen, mit unserem 100 Watt Handstrahler den Weg vor uns abzutasten, das gute Stück hat 130 Euro gekostet, ich hatte damals etwas gezweifelt, ob wir das Geld in die Hand nehmen sollen, gute Entscheidung, mit unseren Kopflampen hätten wir ein noch grösseres Problem als ohnehin schon gehabt. Im zweiten Anlauf finden wir einen Weg zwischen den anderen ankernden Schiffen ins freie Wasser. Puh, selbst wenn wir jetzt 2h unter Motor Kreise drehen, die grösste Gefahr ist gebannt, durchatmen, sehr gut gemacht.
Wir brauchen 1,5h und 7-8 Versuche, um unseren Anker fest einzugraben, tagsüber kann man sich ein Stück Sand suchen, wo der Anker in der Regel gut hält und den Anker dort schmeissen. Nachts ist es reine Glückssache, ob man Sand, Korallen oder Seegras trifft. Es ist fast 6:00, es wird langsam hell und wir sind glücklich, dass wir uns aus dieser extrem brenzligen Situation ohne Schaden befreien konnten, danke Urte, tolle Steuerleistung!
Update 2:
Nach einem weiteren Müsli nehme ich unser Dinghy und drehe einige Runden um unser Schiff, um zu checken, ob wir einen Treffer bekommen haben, alles ok. Mal sehen, ob ich den Kollegen wiederfinde, er müsste ja noch seinen zurück gelassenen Anker bergen. Ich finde sein Schiff, er entschuldigt sich gleich, sehr holpriges Englisch, französisch geht besser, er ist Franzose. Er hatte schon nach uns geschaut, um uns eine Flasche Wein vorbei zu bringen, er lädt mich zum Kaffee ein. Mehr im Scherz frage ich, ob es eine gute Flasche ist? Ich frage ihn, ob er nicht stattdessen eine Flasche Champagner hat, klar etwas frech, aber, wer nicht fragt … Wir unterhalten uns, er hat in den letzten 4 Jahren jeweils den Atlantik überquert, wir fangen an, uns auszutauschen über technische Details an unseren Schiffen. Ich frage ihn nach seiner Meinung zu einigen Upgradeideen, die wir haben, es stellt sich heraus, dass er in Arcachon Schiffe verkauft hat und einen Service für Volvomotoren und eine weitere Marke. Er bietet mir Werkstatt Servicemanuals für unseren Motor an, seine Frau kommt dazu, wir trinken unseren Kaffee und unterhalten uns über weitere Reiseoptionen. Später bieten sie mir noch an, uns einige Wasserkanister zu füllen, damit wir vielleicht erst 2 Tage später in eine Marina gehen müssen, und am Ende bekomme ich neben der Flasche Champs noch zwei schöne Weine eingepackt.
Fazit: Unser Stresslevel war echt hoch, es war sehr, sehr eng, ich war megaangefressen, hatte ich mich doch auf eine ruhige Nacht gefreut, unser Anker lag ja gut. Am Ende haben wir trotz oder gerade wegen dieses Zwischenfalls mit Marc und Pat fantastische Leute kennengelernt und einmal mehr gelernt uns aus einer brenzligen Situation zu befreien. Jedes Problem hält immer Chancen bereit, es ist wieder nur die Frage, ob ich diese sehen und nutzen möchte.
3 Antworten zu “1. Januar 2015 nachts 2:30h”
Hallo Ihr Lieben! Das Neue Jahr hat ja aufregend angefangen. Wir wünschen Euch von Herzen alles erdenklich Gute für 2015!
Viele liebe Grüsse und wir denken sehr an Euch.
Ihr Lieben, alle miteinander !!!!!
Das war ja eine sehr aufregende Silvesternacht, atemberaubend ! Die Crew ist einfach unschlagbar. In diesem Fall waren es allerdings nur die Erwachsenen, die wieder einmal eine sehr kritische Situation mit den richtigen Überlegungen und Entscheidungen bewältigt haben – und das als „Neulinge“ auf dem Atlantik. Chapeau !
Ganz liebe Grüße und Umarmung von eurer Stephie / Großmama
Hallo Ihr Fünf,
das war ja mal eine spannende Geschichte mit Eurem Ankerabenteuer. Das hätte auch ganz anders ausgehen können aber Ihr habt das Glück Gott sei Dank auf Eurer Seite gehabt. Interessant ist auch, das die Angelei so gut geklappt hat. So ein feiner Bonito fehlt mir noch in der Sammlung. Wünsche Euch, dass Ihr weiterhin die Zeit ohne Stress geniessen könnt und alles gut verläuft. Ein wenig Glück gehört wie wir wissen auch immer dazu. Liebe Grüsse an Euch alle und viel Spass in Eurem neuen Revier.
Katja und Dietmar