Didis Fahrer steht bereit, wir werden zum Kulturinstitut gefahren, dort wartet schon Marubi, unser Fahrer für die nächsten Tage. Didi bekommt eine Anzahlung, „Never pay the ferryman before you reach the other side“. Er versichert uns, dass Marubi ein erfahrener, guter Fahrer ist.
Wie schon Micky in Kupang, hat auch Marubi eine Hand am Lenkrad, die andere auf der Hupe. Marubi fädelt sich immer wieder um Haaresbreite an anderen Autos und Mopeds vorbei durch den Verkehr. Nach 3 Stunden halten wir zum Abendessen, wir ahnen noch nicht, wie lange wir noch im Auto sitzen werden.
Absolut krass ist der schnelle, für den Laien unvorhersehbare Wechsel von einer einigermassen vernünftiger Strasse zu einer Abfolge von grossen und kleinen Schlaglöchern. Marubi hat einen siebten Sinn, er bremst immer rechtzeitig, umfährt die Schlaglöcher, ohne dass wir im Wagen durch die Gegend geschleudert werden. Der Wagen, ein Suzuki, ist komfortabel, aber weit entfernt vom schwäbischen, sportlich abgestimmten SUV.
Nach weiteren 3 Stunden Fahrt wird Marubi sichtlich müde, er schleicht und seine Reaktion wird deutlich schlechter. Ich bemühe Google für eine Übersetzung, um ihn nach einer Pause zu fragen. Marubi antwortet Koppi, was so viel wie Kaffee heißt. Das Indonesisch ist dem Holländischen doch ähnlicher als man denkt, manchmal jedenfalls. Wir schleichen weiter, keine Pause. Ich texte Didi, daß er bitte Marubi anruft, um ihm zu sagen, daß er bitte eine Pause machen soll. Reichlich um die Ecke gedacht, aber es funktioniert, kurze Zeit später gibt es den wichtigen safety stop.
Nach insgesamt gut 300km und 10 ½ Stunden Fahrt erreichen wir um 1:30 Uhr unser Hotel. Wunderbar nach so einer Fahrt mitten in der Nacht von freundlichen Indonesiern den Zimmerschlüssel überreicht zu bekommen, einfach grandios.
Klassische Handhaltung des indonesischen Autofahrers, die linke Hand an der Hupe, die rechte am Lenkrad.
In Tana Toraja lebt man für den Tod
Für uns kaum vorstellbar, aber in Tana Toraja lebt man für den Tod, das war früher so, und ist auch heute noch so. Damit die Toten schnell in ihr neues Leben übergehen können, bedarf es einer grossen Feierlichkeit. Je größer das Ansehen des Toten war, desto größer die Feierlichkeit. Lebende Schweine werden als Geschenk überreicht, Wasserbüffel geschlachtet, 12 Büffel bei kleineren Beerdigungen, auch mal 200 bei sehr großen Beerdigungen.
Wie gesagt, die Menschen sparen hier ihr ganzes Leben lang für den Tod, für die Beerdigung der Eltern, für die eigene Beerdigung. Manchmal dauert es Jahre, bis der Tote beerdigt wird, weil die Vorbereitungen für die Zeremonie noch nicht abgeschlossen sind, noch nicht genug Geld gespart ist. Solange der Tote nicht beerdigt ist, ist der Tote für die Bewohner von Tana Toraja nur krank. Die Toten wurden früher einbalsamiert, heute mit Formalyn präpariert und leben weiter im gemeinsamen Haus mit der Familie.
Die Zeremonie der Beerdigung beginnt mit dem Empfang der Gäste.
Aru ist für zwei Tage unser Guide in Tana Toraja, er weiß, wo welche Beerdigungen stattfinden. Nach dem Frühstück im Hotel fährt uns Marubi mit Aru zur Beerdigung. Es ist unsere erste Beerdigung einer Person, die wir nicht im Entferntesten kennen.
Wieder geht es über Stock und Stein vorbei an malerischen, terrassierten Reisfeldern und den hier so typischen „rice barns“ den Lagerhäusern für die Reisernte, einfach traumhaft schön.
Die Zeremonie der Beerdigung dauert mehrere Tage. Zuerst werden die Gäste empfangen, zumeist 2 Tage vor der eigentlichen Beerdigung. Die Gäste sind Familienmitglieder, teilweise reisen sie über hunderte, tausende Kilometer an. Sie kommen mit Geschenken, oft sind es ganze lebende Schweine. Die Gäste werden in Gruppen feierlich begrüsst, die Kinder der Familie, die die Zeremonie ausrichtet, tragen hierfür wunderbare Kleider. Alles verläuft nach einem festen Ablauf, es gibt sogar einen Zeremonienmeister mit Mikrofon und Verstärker.
Nach der einzelnen Begrüßung sitzen die Familien in Gruppen in extra für die Zeremonie aufgebauten offenen Unterständen, hier verbringen sie auch die Nacht. Alles findet auf dem Grundstück der ausrichtenden Familie statt, das gesamte Grundstück wir für einige Tage zum Festplatz, zum Zentrum der Handlung.
Ein traumhafter Blick über terrassierte Reisfelder.
Hier kommen die Gäste mit Schwein an.
Diese Kinder empfangen die Gäste der Zeremonie, wir freuen uns über ein Foto mit ihnen.
Fotomodelle treffen Fotomodelle, die Farben unserer Crewshirts sind eher zurückhaltend.
Vor dem Haus der Familie wird der Sarg mit der Toten aufgebahrt. Diese Frau ist bereits vor über 9 Monaten gestorben.
Die Wasserbüffel sind eines der, wenn nicht das zentrale Element der Zeremonie
Wasserbüffel spielen eine wichtige Rolle bei der Zeremonie, wahrscheinlich sogar die Hauptrolle. Noch stehen die Wasserbüffel inmitten der Leute auf dem Grundstück der Familie, mitten im Geschehen. Ahnen sie bereits, was gleich mit ihnen passieren wird? Noch ist nicht klar, wie viele Büffel geopfert werden, noch berät eine Art Ältestenrat über die genaue Anzahl.
Ist die Anzahl erst einmal fest gelegt, beginnt das Schlachten. Mit einem Schnitt von unten durch die Kehle der Tiere beginnt ihr Ende. Wir sind erstaunt, wie lange sie sich noch auf den Beinen halten, obwohl das Blut nur so sprudelt. Wir sind hin und her gerissen von dem Interesse, den Moment zu erleben, und dem Reflex doch wegzuschauen. Zu fern liegt uns diese Art Tiere so öffentlich, so mitten im Geschehen zu töten. Urte und Louisa reicht es nach dem 2. Büffel, sie lassen sich stattdessen lieber mit Angehörigen fotografieren. Für die Bewohner von Tana Toraja ist dies das normalste von der Welt. Nacheinander fallen immer mehr Büffel, am Ende sind es knapp 12 Stück.
Noch stehen die Büffel und ahnen wohl nicht, was ihnen gleich blüht.
Diese Büffel werden gleich fachgerecht zerlegt.
Paula und Louisa sind begehrte Fotomodelle
Zwischen all dem Schlachten der Büffel sind Paula und Louisa begehrte Fotomodelle. Immer wieder lassen sich Frauen und junge Mädchen mit uns oder Paula und Louisa fotografieren. Immer wieder werden wir von den Anwesenden in die Unterstände eingeladen, bekommen wir eine Tasse Tee oder etwas Gebäck. Eine Frau winkt uns zu sich. Für die Mädels hat sie eine Box mit Bonbons, klar funktioniert überall auf der Welt. Uns bietet sie kleine grüne Dinger an, sie sehen aus wie dicke grüne, noch feste Weidenkätzchen. Ausserdem hat sie kleine, gelb-bräunliche Dinger mit etwas Durchsichtigen drumrum. Klar mit der Beschreibung kann das alles sein. Ich probiere beides, das grüne Ding hat beim Kauen eine pflanzliche, feste Konsistenz geschmacklich zwischen sauer und bitter, sehr, sehr intensiv. Scheinbar war das nicht genug. Die alte Frau bietet mir noch einen Nachschlag an, dieses Mal mit einem weißen Pulver oben drauf. Es ist so bitter, dass ich Hände ringend nach einer Möglichkeit suche, den Inhalt meines Mundes so unauffällig wie irgend möglich zu entsorgen. Urte hat ein wenig mehr Glück mit ihrer Wahl, sucht aber ebenfalls unauffällig nach einer Möglichkeit, dieses geschmackliche Monster los zu werden. Wir fragen Aru, was wir da gerade gegessen haben. Beetle Nuts, aber essen tut man dass nicht, man kaut darauf rum und dann spuckt man es aus. Was den Männern hier die Zigarette ist, ist den hauptsächlich älteren Frauen die Beetle Nut, auch eine Erfahrung.
Es ist unglaublich, wie beliebt wir mit den Kindern sind, wir sehen fast keinen anderen Westler mit Tee oder Gebäck. Wir geniessen diese Nähe, diese unendlich freundlichen Leute auf einer Beerdigung von einer Person, die wir nie gekannt haben.
Diese Frau lädt uns zu einer Runde Beetle Nuts ein, ein für uns zweifelhaftes Vergnügen.
Lokale Köstlichkeiten unter Freunden, das Grüne ist die Beetle Nut.
Familienporträt mit Büffel, der mutige Statist faßt auch mal ans Horn.
Hier wird Paula besonders geherzt.
Eins der unendlich vielen Fotos der Mädels mit den Gästen der Zeremonie.
Bevor das Fleisch der Wasserbüffel verteilt werden kann, müssen diese sauber zerlegt werden
Das Fleisch der eben noch stolz dastehenden Wasserbüffel wird an den Chief, die Familie, Freunde und diverse wichtige Funktionen der Gemeinschaft verteilt. Bevor das Fleisch jedoch verteilt werden kann, müssen die Büffel von professionellen Schlachtern sauber zerlegt werden.
Die Schlachter haben bereits das eigentliche Schlachten, den Schnitt durch die Kehle erledigt. Jetzt ziehen sie den Büffeln das Fell ab, was umgehend weiter verkauft wird. Danach werden die Hufe abgetrennt, komplette Beine aus dem Ganzen heraus gelöst. Kurze Zeit später schaufelt einer der Schlachter mit den bloßen Händen eine riesige Menge Grünzeug aus dem Pansen. Wir haben das Gefühl, dass alles irgendwie verwertet wird. Zum Schluß wird das Horn vom Schädel getrennt, es hat eine ganz besondere Bedeutung bei der Zeremonie.
Das Zerlegen passiert, wie auch das vorherige Töten der Tiere, inmitten der Zeremonie, dort wo die Büffel kurz zuvor das letzte Mal in ihrem Leben gekackt haben. Das Fleisch wird auf große Palmwedel gelegt, das wars. Wir haben andere Hygienevorstellungen, aber auch dieser Ansatz hier scheint zu funktionieren, denn die meisten Besucher hier sind quietschfidel, einige wirklich steinalt.
Als erstes werden den Büffeln die Häute abgezogen. Scheinbar gefällt nicht jedem Beobachter, was er hier sieht.
Dieser kleine Junge freut sich diebisch über den Büffelhuf.
In Windeseile ist das Tier zerlegt, gut zu erkennen der Pansen mit Unmengen von unverdautem Grünzeug.
Hier wird wortwörtlich ein Vermögen geschlachtet
Auch wenn das ganze natürlich für uns ungewohnt blutig ist, sind wir doch tief beeindruckt von der Zeremonie, des riesigen Aufwandes, der Anzahl der Büffel.
Ein kleiner Büffel kostet bereits 1.000€. Ein vernünftiges Tier, das etwas hermacht, jenseits der 2.000€. Aru zeigt uns auf der Fahrt auch weiße Büffel. Bei ihnen ist ein Teil des Fells weiß, sie haben blaue Augen und werden als die Mercedes unter den Büffeln gehandelt. Sie sind der ganze Stolz ihres Besitzers und kosten locker auch mal 50.000€. Diese Büffel werden gehegt und gepflegt, regelmäßiges Büffelspa in der Matschkuhle mit anschließender Dusche. Gefüttert werden sie mit handgeschnittenem Gras, für diese Büffel ist kein Aufwand zu groß.
Auf unserer Zeremonie wurden Büffel im Wert von vielleicht 15.000 – 20.000€ geschlachtet, nach oben hin scheint es aber keine wirklichen Grenzen zu geben, absolut krass.
Ein weißer Wasserbüffel, der Mercedes unter den Büffeln. Mercedes nur, weil man hier keinen Porsche kennt!
Die eigentliche Beerdigung des Toten erfolgt im engen Familienkreis
Die eigentliche Beerdigung des Toten erfolgt am nächsten Tag im engen Familienkreis, also ohne den großen Teil der hier anwesenden Gäste und natürlich auch ohne uns. Aru zeigt uns aber eine Vielzahl von möglichen Gräbern.
Marubi fährt uns zu einer Felswand, in der auf herausragenden Holzbalken alte Särge in schwindelerregender Höhe lagern. Hier gilt, je höher diese Särge lagern, desto höher war der Status der Person zu Lebzeiten. Im unteren Bereich der Wand sehen wir aber auch stapelweise neuere Särge. Es handelt sich hier wirklich nicht um Praktiken der Vergangenheit.
An einer anderen Stelle sehen wir in den Fels geschlagene Kammern. Früher hat man in diese Kammern nur die Gebeine gebracht, heute werden dort die ganzen Särge deponiert. Unter manchen Kammern sehen wir Figuren aus Holz, kunstvoll bemalt und mit richtigen Kleidern. Auch diese Symbole sind nur Personen vorbehalten, die zu Lebzeiten einen hohen Status in der Gesellschaft hatten. Auch hier wieder, je höher und je größer die Kammer, desto größer der Status. Wir kommen vorbei an Kammern, die in riesige Findlinge geschlagen sind. Wir werden in eine Höhle geführt, in der neben alten kaum erkennbaren Särgen neue und an zahlreichen Stellen haufenweise Gebeine liegen.
Oben in einer Felswand gut zu erkennen: die alte Särge, unten die neuen.
Hier sind die Grabkammern in den Fels geschlagen. Gut zu erkennen, die aufwendigen Figuren unter einigen Kammern.
Auch in diesen riesigen Findling wurden mit viel Aufwand Grabkammern geschlagen.
Särge in einer Höhle, vielleicht etwas schaurig.
Die Büffelhörner und Schädel werden an den traditionellen Wohnhäusern befestigt und zeigen dem Besucher wieviele und wie aufwendige Beerdigungen diese Familie bereits in der Vergangenheit ausgerichtet hat.
Babies, die noch keine Zähne haben, werden in Bäumen beerdigt
Kinder, die zum Todeszeitpunkt noch keine Zähne hatten, werden ohne das Schlachten von Wasserbüffeln, ohne diese gigantische Zeremonie beerdigt. Stirbt ein Säugling, so macht sich der Vater umgehend auf, um einen Baum zu suchen. Er schneidet in diesen Baum eine kleine Kammer, in der der Säugling aufrecht stehend beerdigt werden kann. Die Einwohner von Tana Toraja benutzen hierfür Bäume, die eine milchige Flüssigkeit absondern, denn in ihrem Glauben ist der Baum die neue Mutter des gestorbenen Säuglings und diese weiße Flüssigkeit die Muttermilch. Der Säugling geht nach seinem Tod also zurück zur Natur und lebt aber mit dem Baum als neue Mutter weiter.
Da die Säuglingssterblichkeit mit dem Einzug von einer Gesundheitsorganisation mit Krankenhäusern in den letzten Jahren deutlich zurück gegangen ist, scheint diese Praxis aber eher der Vergangenheit anzugehören.
In der Mitte ist eine flexible, tuchartige Abdeckung eines Säuglingsgrabes zu erkennen. Die Gräber sind nicht fest verschlossen, damit die Säuglinge für ihr neues Leben auch weiterhin Sauerstoff bekommen.
Baden im Hotelpool und leckeres Abendessen
Insgesamt sind wir zwei volle Tage in Tana Toraja. Neben den Zeremonien, der Begrüßung der Gäste, dem Schlachten und Zerlegen der Wasserbüffel bleibt noch genügend Zeit, den Hotelpool ausgiebig auszuchecken. Was für Andere Urlaubsnormalität ist, ist für unsere Kinder ein absolutes Highlight, ein Pool, ein Frühstücksbuffet und Abendessen mit Bedienung. Alle genießen die Zeit, und das Essen schmeckt wie immer in Indonesien hervorragend.
Bei so viel Totenkult auf keinen Fall den Humor verlieren.
Paula geniesst ihre Schwarzwälder Kirschtorte in Tana Toraja.
Zurück nach Makassar, zurück zu unserer hapa na sasa
Der Rückweg nach Makassar dauert insgesamt auch knapp 10h, ist aber deutlich kurzweiliger. Der Höhepunkt ist die Verkehrsführung über eine chaotische Kreuzung nur 10km vor unserem Ziel, die uns eine weitere Stunde in unserem Suzuki beschert. Bei all dem Chaos und dem penetranten Dazwischendrängeln von Autos, Lastwagen und Mopeds ist es erstaunlich, dass die Fahrer selbst noch beherrscht sind. Sie nehmen es mit einer unglaublichen sportlichen Leichtigkeit, was meine Nerven stark belasten würde.
Nach dem obligatorischen Selfie mit Marubi sind wir super erleichtert, als wir unser Schiff vor der Stadt schwimmen sehen. Ein Wasser Taxi bringt uns zurück an Bord, und alles ist so, wie wir es verlassen haben, was für ein Glück!
Vielen Dank, Didi, Du hat uns eine super Reise nach Tana Toraja organisiert, exzellenter Job. Dank Dir, Marubi, dass Du uns heil durch diesen haarsträubenden Verkehr geschleust hast, und danke an Aru für die vielen sehr bewegenden Eindrücke in die Kultur des Sterbens in Tana Toraja
Marubi, unser Fahrer hat uns wieder heile nach Makassar gebracht.
Didi, das brain hinter unserer Tour.
Was für ein emotionaler Moment, als wir die hapa na sasa unversehrt wieder sehen, in jedem Fall mal für mich bewegend.
Eine Antwort zu “Tana Toraja, die Region, in der sich alles um den Tod dreht”
… diese Reise ist so aussergewoehnlich – und so eindrucksvoll geschildert – dass ich erstmal eine Weile benoetige, das alles zu „verdauen“ … obwohl ich ja gar nicht dabei war!!! Danke fuer diese lebensnahen Schilderungen … und die tollen Fotos … und die dadurch „miterlebten“ Erfahrungen !!! Super ! Liebe Gruesse! (Bin erstaunt, dass Euer Boot so weit drausen „parkt“ …)